Wann immer man die zeitliche Entwicklung von Parteipositionen analysiert, lassen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. So auch bei unserer Auswertung im Vorfeld der Wahlen 2015, als wir die Veränderung der Parteipositionen auf der Links-rechts-Dimension seit 2007 dargestellt haben. Doch bestätigt eine zweite Analyse unsere Ergebnisse.

Die Reaktionen beziehen sich oft auf methodische Fragen. Konkret geht es darum, ob man mit einer Erhebung von Daten zu drei verschiedenen Zeitpunkten (Nationalratswahlen 2007, 2011 und 2015) einen Rückschluss auf reale Positionsverschiebungen der Parteien ziehen kann. Der Einwand zielt auf den Umstand, dass sich auch der politische Kontext laufend verändert. Die politischen Positionierungen gleichen somit einem “moving target”, wodurch es schwierig wird zu beurteilen, ob ein beobachteter Meinungswechsel (Antworten auf smartvote-Fragen) durch Verschiebungen im politischen Kontext oder durch tatsächliche Veränderungen der persönlichen bzw. von der Partei vorgegebenen Haltung hervorgerufen wird.

Dazu ein fiktives Beispiel: Ein Kandidat beurteilt im Jahr 2007 das Steuerniveau als zu hoch und spricht sich entsprechend für Steuersenkungen aus. Im Jahr 2015 spricht er sich jedoch gegen Steuersenkungen aus. Daraus kann noch nicht automatisch auf einen Positionswechsel geschlossen werden. Es könnte sein, dass zwischen 2007 und 2015 die Steuern tatsächlich gesenkt worden sind und dass der Kandidat sein Ziel von 2007 inzwischen erreicht sieht, aber weitere Steuersenkungen ablehnt. Dieser Kandidat hat somit trotz unterschiedlicher Antworten auf die Frage nach Steuersenkungen stets die gleiche Position vertreten.

Eine berechtigte Kritik mit Bedingungen

Der methodische Einwand ist berechtigt – zumindest in der Theorie. Doch bedingt er, dass erstens ein spürbarer Politikwechsel tatsächlich stattgefunden hat. Zweitens können sich Politikwechsel in verschiedenen Fragen, welche in unterschiedliche Richtungen (mal eher nach rechts, mal nach links) verlaufen sind, in der Analyse auch gegenseitig neutralisieren. Und drittens spielen Kontextänderungen insbesondere bei den Parteien an den politischen Polen eine eher geringe Rolle: Je stärker der ideologische Einfluss auf eine Position ist, umso weniger wichtig werden Veränderungen des politischen Kontexts.

Zudem gilt es zu beachten, dass nicht jede Kontextänderung sogleich methodische Probleme verursacht. Wenn beispielsweise zwischen 2007 und 2015 die Jugendkriminalität stark zugenommen hätte und daher einige Kandidierende bezüglich einer Verschärfung des Jugendstrafrechts von einer ablehnenden zu einer befürwortenden Haltung gewechselt wären, dann kann man durchaus von einer realen Positionsveränderung ausgehen (in diesem Falle Richtung “rechts” auf der Links-rechts-Achse).

Um sicher zu gehen, haben wir unsere Analyse mit einer engeren Auswahl der in die Auswertung einfliessenden smartvote-Fragen repliziert

Wir könnten es uns einfach machen und lediglich im Kleingedruckten unserer Analyse die Annahme formulieren, dass sie unter der Bedingung gilt, dass sich der politische Kontext in den letzten acht Jahren nicht wesentlich bewegt hat. Dieses Vorgehen wäre kaum kühner als das, was man sonst so in wissenschaftlichen Publikationen an versteckten und offenen Annahmen vorfindet.

Um sicher zu gehen, haben wir unsere Analyse mit einer engeren Auswahl der in die Auswertung einfliessenden smartvote-Fragen repliziert. In der ursprünglichen Variante haben wir uns auf 23 Fragen abgestützt, die von smartvote bei den Wahlen 2007, 2011 und 2015 in vergleichbarer Form gestellt worden sind. Nach Streichung aller Fragen, bei welchen substanzielle Veränderungen des politischen Kontextes zumindest nicht auszuschliessen sind, verbleiben für unsere Neuauswertung die folgenden elf Fragen:

  1. Befürworten Sie eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen und Männer (z.B. auf 67 Jahre)? (Keine Veränderung des Status quo 2007-2015)
  2. Würden Sie es befürworten, wenn für Ausländer/innen, die seit mindestens zehn Jahren in der Schweiz leben, gesamtschweizerisch das Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene eingeführt würde? (Keine Veränderung des Status quo 2007-2015)
  3. Sollte der Status von Sans-Papiers durch eine einmalige kollektive Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen legalisiert werden? (Keine Veränderung des Status quo 2007-2015)
  4. Sollen gleichgeschlechtliche Paare, die in eingetragener Partnerschaft leben, Kinder adoptieren dürfen? (Keine Veränderung des Status quo 2007-2015)
  5. Würden Sie es befürworten, wenn in der Schweiz die direkte aktive Sterbehilfe durch einen Arzt straffrei möglich wäre? (Keine Veränderung des Status quo 2007-2015)
  6. Eine Volksinitiative fordert, dass die Gesamtfläche der Bauzonen in der Schweiz auf dem heutigen Stand begrenzt wird. Befürworten Sie dieses Anliegen? (Keine Veränderung des Status quo 2007-2015)
  7. Sollen die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zur präventiven Überwachung des Post-, Telefon- und E-Mail-Verkehrs ausgeweitet werden? (Keine Veränderung des Status quo 2007-2015 (Revision in Herbstsession beschlossen, noch nicht in Kraft)
  8. Soll die Schweiz innerhalb der nächsten vier Jahre EU-Beitrittsverhandlungen aufnehmen? (Keine Veränderung des Status quo 2007-2015)
  9. Bundesbudget Landesverteidigung (Keine namhafte Veränderung zw. 2007 und 2015 (2007: 4’500 Mio. CHF / 2015: 4’700 Mio CHF, nicht teuerungsbereinigt))
  10. Bundesbudget Strassenverkehr (Keine namhafte Veränderung zw. 2007 und 2015 (2007: 2’700 Mio. CHF / 2015: 3’100 Mio CHF, nicht teuerungsbereinigt))
  11. Bundesbudget Landwirtschaft (Keine namhafte Veränderung zw. 2007 und 2015 (2007: 3’800 Mio. CHF / 2015: 3‘700 Mio CHF, nicht teuerungsbereinigt))

Eine zweite Analyse mit beständigen Ergebnissen

Wir haben mit diesen Fragen dieselbe Analyse (zur Methode vgl. hier ) erneut durchgeführt und kommen zu demselben Trend wie in der ursprünglichen Analyse: die bürgerlichen Parteien haben sich zwischen 2007 und 2015 nach rechts bewegt, die Linke hat ihre Position mehr oder weniger gehalten. Somit hat auch die politische Polarisierung im Kandidatenfeld zugenommen. (Die Parteiwerte sind ganz am Ende dieses Beitrags tabellarisch aufgeführt.)

Daher sprechen wir im erwähnten Artikel des Tages-Anzeigers bloss von einer “Tendenz”, wohl wissend, dass Aussagen über absolute Veränderungen kaum möglich sind

Wir behaupten nicht, dass Parteipositionen mit naturwissenschaftlicher Präzision gemessen werden können. Erst recht nicht, wenn man Zeitvergleiche anstellt. Möglicherweise wird in unserer Analyse auch die eine oder andere Entwicklung etwas überzeichnet und würde – hätte man mehr Fragen und genauere Angaben zum politischen Kontext zur Verfügung – relativiert. Daher sprechen wir im erwähnten Artikel des Tages-Anzeigers bloss von einer “Tendenz”, wohl wissend, dass Aussagen über absolute Veränderungen kaum möglich sind.

Hinweis zur Tabelle: Je höher der Positionswert, desto weiter rechts steht eine Partei

  Wahljahr Anzahl
Kand.
L-R-Position (Mittelwert) L-R-Position (Median) Standard-abweichung
SP 2007 258 -1 .00 -1.09 0.40
Grüne 2007 257 -0.93 -1.00 0.42
glp 2007 68 -0.17 -0.32 0.67
EVP 2007 243 -0.12 -0.11 0.44
CVP 2007 240 0.42 0.42 0.63
FDP 2007 244 0.76 0.81 0.65
SVP 2007 220 1.46 1.58 0.83
           
Grüne 2011 255 -0.97 -1.06 0.30
SP 2011 232 -0.96 -1.00 0.26
glp 2011 197 -0.18 -0.22 0.31
EVP 2011 197 -0.11 -0.15 0.44
CVP 2011 236 0.55 0.52 0.59
BDP 2011 117 0.66 0.66 0.51
FDP 2011 232 1.05 1.03 0.54
SVP 2011 201 1.76 1.80 0.52
           
Grüne 2015 213 -1.01 -1.09 0.25
SP 2015 269 -0.92 -0.99 0.32
glp 2015 231 -0.04 -0.06 0.32
EVP 2015 127 -0.02 -0.04 0.48
BDP 2015 130 0.59 0.54 0.43
CVP 2015 243 0.64 0.63 0.54
FDP 2015 245 1.11 1.13 0.54
SVP 2015 222 1.73 1.80 0.50

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